Identität und Erbe

Ringvorlesung am 3. Mai 2022

TOBIAS STRAHL (SARAJEWO): KULTURELLE NETZE IN (BEWAFFNETEN) KONFLIKTEN

Der konventionelle Kulturgutschutz in bewaffneten Konflikten hat sein theoretisches Fundament in der sogenannten europäischen Aufklärung, dem Historizismus und der Denkmalpflege europäischer Provenienz. Seine rechtlichen Grundlagen sind unter dem Eindruck zweier verheerender Kriege entstanden. Für den tatsächlichen Schutz von Gegenständen der Kultur in bewaffneten Konflikten ist er bis heute nicht zu operationalisieren.
Nie wurde mehr Kultur in Konflikten zerstört als im Jahrhundert der internationalen Konventionen zum Kulturgutschutz in Konflikten. In meinem Vortrag begebe ich mich anhand konkreter Beispiele auf Spuren- und Ursachensuche zur Kulturzerstörung in (bewaffneten) Konflikten. Ich versuche zu zeigen, warum der gegenwärtige Kulturgutschutz nach den ihm zugrunde liegenden Konzepten von Kultur, Erbe und Konflikt zum Scheitern verurteilt ist. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf kulturellen Netzen sozialer Kollektive, hybriden und asymmetrischen Konfliktformen und Destabilisierungsoperationen entlang kultureller Konfliktlinien.

Hinweis: Unser Referent bittet die Zuschauer:innen vor Ort ein beliebiges Trinkgefäß mitzubringen.

Tobias Strahl ist 1978 in Dresden geboren. 1996 trat er als Soldat auf Zeit in das Gebirgsjägerbataillon 571 ein und wurde dort zum Gebirgsjägertruppführer und Scharfschützen ausgebildet. 1999 war er mit seiner Einheit im Ersten Kontingent der Kosovo-Force am Einmarsch in Kosovo beteiligt. Im Jahr 2000 schied er aus dem aktiven Dienst aus und wechselte als Unteroffizier in die Reserve der Bundeswehr. Von 2004-2010 studierte Tobias Strahl Kunstgeschichte und Literaturwissenschaften an der Technischen Universität Dresden. Neben dem Studium arbeitete er als freiberuflicher Journalist. Diese Tätigkeit führte ihn 2005 ein erstes Mal nach Afghanistan. Während des Studiums absolvierte Tobias Strahl vier weitere Einsätze in Kosovo und Afghanistan. 2008 wechselte er in die Laufbahn der Reserveoffiziere. Nach seiner Rückkehr aus Afghanistan promovierte er in den Jahren 2011 bis 2016 an der TU Dresden bei Prof. Bruno Klein und Prof. Thomas Will zum Thema Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen: 1991-1999 und 2004 Kroatien, Bosnien-Herzegovina, Kosovo : eine kritische Diskursanalyse. Während dieses Zeitraums forschte und lebte er in Belgrad, Prizren und Prishtina, Sarajewo und Zagreb. Von Januar 2015 bis September 2017 führte ihn ein beruflicher Aufenthalt nach Nigeria. Seit Oktober 2017 lebt Tobias Strahl dauerhaft in Bosnien und Hercegovina. Tobias Strahl ist Major der Reserve und Interkultureller Einsatzberater am Einsatzführungskommando der Bundeswehr.

Weitere Vorträge in dieser Reihe:

17. Mai: Tobias Ebbrecht-Hartmann (Weimar) | 24. Mai: Wolfgang Ernst (Berlin) | 31. Mai: Stefanie Hennecke (Weimar) | 7.Juni: Tobias Hönig, Andrijana Ivanda (Berlin) | Damjan Kokalevski (Berlin) | 5. Juli: Juliane Tomann (Erfurt) | 12. Juli: Elisa Satjukow (Weimar)

 

Je nach Verlauf des Pandemiegeschehens können die Vorträge im digitalen Format stattfinden. Aktuelle Informationen zu den Vorträgen und unseren Gästen finden Sie unter: https://www.identitaet-und-erbe.org/category/veranstaltungen/semestertermine/. Die Tonaufzeichnungen der Vorträge bieten wir in unserem Podcast zum Nachhören an.

Neuerscheinung „Instabile Konstruktionen"

Simone Bogner, Gabi Dolff-Bonekämper, Hans-Rudolf Meier (Hg.)

Interdisziplinäre Forschungen zu Identität und Erbe, Schriftenreihe des DFG-Graduiertenkollegs 2227, Band II

Wer von Erbe im Zusammenhang mit Identität spricht, verspricht sich und Anderen »Kontinuität« und »Stabilität«. Das Versprechen hält indes nur so lange, wie sich Menschen auf die damit verbundenen Erzählungen einlassen. Da diese zunehmend hinterfragt werden und der Begriff »Identität« im politischen Raum zu einer umkämpften Kategorie avanciert ist, werden auch die lange gehegten, gewohnten »Konstruktionen« instabil. Dies zeigt sich insbesondere in Momenten des Konflikts, der übergriffigen Inanspruchnahme und des Verlusts. Der Titel »Instabile Konstruktionen« verweist zugleich auf die beiden Kernbereiche des Kollegs: einerseits auf Architektur und Denkmalpflege, in denen der Begriff »Konstruktion« sich auf bauliche Manifestationen bezieht, von denen eine gewisse Haltbarkeit und Dauerhaftigkeit erwartet wird, und andererseits auf die Kultur- und Sozialwissenschaften, wo Konstruktion die soziale Herstellung symbolischer Sinnwelten meint. Ins Zentrum rückt so der Anspruch, die materielle Umwelt im Wechselverhältnis zu ihrer sozialen Gemachtheit zu verstehen.

Diesen Dimensionen von Identität und Kulturerbe gehen die Autor:innen in den hier versammelten Beiträgen nach. Die Aufsätze schlagen Brücken zwischen materiellen Manifestationen, sozialen Identitäts-Konfigurationen und Erbe-Narrativen und zeigen auf, wie eng diese Aspekte miteinander verflochten sind.

 

MIT BEITRÄGEN VON KOLLEGIAT:INNEN DER ERSTEN KOHORTE DES GRADUIERTENKOLLEGS (2016-2019)

 

SIMONE BOGNER, GABI DOLFF-BONEKÄMPER, HANS-RUDOLF MEIER, MARK ESCHERICH

Instabile Konstruktionen – Einführung

 

SIMONE BOGNER

Architektur als Erbepraxis? Nachdenken über den Zusammenhang von Erbe, Vergangenheitsbezügen und Identität im Urbanismus der CIAM nach dem Zweiten Weltkrieg

 

OXANA GOURINOVITCH

Ingenieure der Traditionen. Gegenwart der Vergangenheit in der Architektur des sowjetischen Spätmodernismus

 

JOCHEN KIBEL

Identität durch iterative Nicht-Identität. Postheroische Selbstbilder und die Institutionalisierung der Dauernegation

 

CLAUDIA BA

Geschichtsvorstellungen und Raummetaphern. Stabilitätsbehauptungen am Beispiel von Museumsdisplays in Gambia und Senegal

 

GEORG KRAJEWSKY

Zur Neuaushandlung des Bezugsrahmens (post-)kolonialen Erbes in Hamburg

 

GÜLŞAH STAPEL

Ist das türkisch oder kann das weg?

 

ZOYA MASOUD

Der Verlust eines unsichtbaren Monuments: Von mentalen Repräsentationen der al-Khusrawiyya Moschee in der Altstadt Aleppos

 

MARIA FRÖLICH-KULIK

Bestand ohne Halt? Landbahnhöfe als Ressourcen nachhaltiger Landschaftsentwicklung

 

SARAH ALBERTI

Joint Venture im Mauerstreifen. Raffael Rheinsbergs Beitrag zum Berliner Ausstellungsprojekt »Die Endlichkeit der Freiheit« im Sommer 1990

 

WOLFRAM HÖHNE

Narrative Rekonstruktionen. Zur Historiografie eines abgebrochenen Bauwerks

 

KONSTANTIN WÄCHTER

Neue Sichtbarkeit. Konzepte und Baustrategien für Gemeindesynagogen im kaiserzeitlichen Berlin

 

LUISE HELAS

Ehrenamtliche. Zivilgesellschaftliches Engagement für das baukulturelle Erbe Dresdens zur Zeit der DDR

 

BIANKA TRÖTSCHEL-DANIELS

Stabilität per Gesetz? Zum Denkmalpflegegesetz der DDR von 1975

 

BENJAMIN HÄGER

Denkmal und Erbe – Eine konstruktivistische Betrachtung beider Konzepte zur Etablierung eines integrativen Modells

 

LISA MARIE SELITZ

Zur transformativen Ausgestaltung urbanen Kulturerbes. Zwischen Identifikation, Repräsentation, Partizipation und Demokratiebemühungen

 

LAURA TORREITER

Konstruktion von Aufwertung: Die Rolle lokaler Akteure und deren Instrumentalisierung im Stadterneuerungsprozess des Leipziger Ostens

Das Buch (264 Seiten, ISBN:978-3-95773-301-6) kann ab sofort im Bauhaus-Universitätsverlag bestellt werden: https://asw-verlage.de/katalog/instabile_konstruktionen-2476.html

DFG-Graduiertenkolleg 2227 »Identität und Erbe«
 
Bauhaus-Universität Weimar
Fakultät Architektur und Urbanistik
 
Wissenschaftliche Koordination:
Dr. Wolfram Höhne
99423 Weimar, Marienstr. 9 (Raum 105)
Tel. +49 (0) 3643 - 583139
wolfram.hoehne@uni-weimar.de
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