NEWSLETTER #3 SOMMERSEMESTER 2021

RINGVORLESUNGSREIHE „IDENTITÄT UND ERBE“

 

6. MAI (DONNERSTAG) UM 18.30 UHR, VIDEOKONFERENZ

NORA STERNFELD (HAMBURG):
ERRUNGENE ERINNERUNGEN. KONTAKTZONEN UMKÄMPFTER UND GETEILTER GESCHICHTE

Was geschieht, wenn unterschiedliche Erinnerungsnarrative aufeinandertreffen und ausgehandelt werden müssen? Zwei Publikationen der letzten Jahre stehen paradigmatisch für zwei unterschiedliche Formen der Auseinandersetzung mit widersprüchlichen und umkämpften Erinnerungen: Michael Rothbergs Buch „Multidirectional Memory“ (in deutsch soeben erschienen als „Multidirektionale Erinnerung“) und Dan Diners Aufsatz „Gegenläufige Gedächtnisse“.
Beschreiben ließen sich die Positionen mit Analogie versus Archäologie – sie verweisen auf die beiden Paradigmen der Singularität und der Globalisierung des Holocaust. Ich schlage eine Alternative zu dieser Alternative zwischen Rothberg und Diner vor und möchte von „errungenen Erinnerungen“ in agonistischen Kontaktzonen sprechen. Diese sind in verschiedener Weise errungen: erstens als Anerkennung, dass Erinnerung ein Ergebnis von Kämpfen ist, dass sie brüchig und umstritten ist und immer wieder in der Gegenwart im Hinblick auf die Zukunft formuliert wird. Zweitens als Anerkennung, dass es möglich ist, unterschiedliche Geschichtsbezüge zu formulieren und miteinander auszuhandeln, während es nicht im selben Maße möglich ist, Fakten auszuhandeln – denn der Zugang dazu, was geschehen ist, ist eben doch kategorial davon zu unterscheiden, was dies für die Gegenwart bedeutet.  Drittens meint „errungen“ hier durchaus „gegen die bestehenden Erinnerungskollektive errungen“. In diesem Sinn plädiere ich für eine Geschichtsarbeit in geteilten Erinnerungsorten, die sich gleichermaßen als partizipativ und reflexiv versteht, wie sie sich gegen Antisemitismus, antifaschistisch und antirassistisch positioniert.

Nora Sternfeld ist Kunstvermittlerin und Kuratorin. Sie ist Professorin für Kunstpädagogik an der HFBK Hamburg. Von 2018 bis 2020 war sie documenta Professorin an der Kunsthochschule Kassel. Von 2012 bis 2018 war sie Professorin für Curating and Mediating Art an der Aalto University in Helsinki. Darüber hinaus ist sie Co-Leiterin des /ecm – Masterlehrgangs für Ausstellungstheorie und -praxis an der Universität für angewandte Kunst Wien, im Kernteam von schnittpunkt. ausstellungstheorie & praxis, Mitbegründerin und Teilhaberin von trafo.K, Büro für Bildung, Kunst und kritische Wissensproduktion (Wien) und seit 2011 Teil von freethought, Plattform für Forschung, Bildung und Produktion (London). In diesem Zusammenhang war sie auch eine der künstlerischen Leiter:innen der Bergen Assembly 2016 und ist seit 2020 BAK Fellow, basis voor actuele kunst (Utrecht). Sie publiziert zu zeitgenössischer Kunst, Bildungstheorie, Ausstellungen, Geschichtspolitik und Antirassismus. 

ANMELDUNG

Um online an der Vorlesungsreihe teilzunehmen, senden Sie bitte eine Email an: anmeldung@identitaet-und-erbe.org. Sie erhalten dann den Zugangslink zur Videokonferenz (Plattform Zoom), unter dem Sie alle Ringvorlesungen des Sommersemesters verfolgen können. Zudem können im Audio-Archiv des Graduiertenkollegs viele Vorträge der seit 2016 stattfindenden Reihe nachgehört werden. Am Dienstagabend findet der erste Vortrag in diesem Semester statt:

DAS PROGRAMM DER RINGVORLESUNG IM SOMMERSEMESTER 2021

27. April
Barbara Schönig (Weimar)
Wohn-Wende in Ostdeutschland. Ein Blick auf Transformation als Erbe aus Sicht der Interdisziplinären Wohnungsforschung

6. Mai
Nora Sternfeld (Hamburg)
Errungene Erinnerungen. Kontaktzonen umkämpfter und geteilter Geschichte

18. Mai
Gabu Heindl (Wien)
Kritisches Erben und konkrete Utopie. Vom Roten Wien zur Rebel and Care City

25. Mai
Jens-Christian Wagner (Jena)
60 Jahre Colonia Dignidad. Ein deutsches Verbrechen in Chile und seine Erinnerung

1.
Juni
Erica Lehrer (Montreal)
Terribly Close. Polish Vernacular Artists Face the Holocaust

8. Juni
Ronald Rietveld (Amsterdam)
Hardcore Heritage

15. Juni
Timothy Ingold (Aberdeen)
The World in a basket

22.
Juni
Stefan Berger (Bochum)
Erinnerung an Industrialisierung und Deindustrialisierung im globalen Vergleich – Industriekultur und ihre Erzählungen
 
6.
Juli
Oliver Sukrow (Wien)
Alternative Spaces of Innovation: Spa Towns as Architectures and Landscapes of Health

13.
Juli
Arnold Bartetzky (Leipzig)
Erbe ohne Erben. Baudenkmäler nach Zwangsmigrationen zwischen Zerstörung, Verdrängung und Aneignung

Ausführliche Informationen zu allen Vorträgen finden Sie unter: https://www.identitaet-und-erbe.org/category/veranstaltungen/semestertermine/

PUBLIKATIONEN


Collecting Loss

Band I deSchriftenreihe des DFG-Graduiertenkollegs „Identität und Erbe“, hrsg. von Simone Bogner, Gabi Dolff-Bonekämper, Hans-Rudolf Meier. 
Der Band ist im Februar im Bauhaus-Universitätsverlag erschienen. 
ISBN 978-3-95773-291-0; 168 Seiten; 28,00€

Einblick in das Buch

Wer sich mit „Identität“ und „Erbe“ befasst, also mit dem Zusammenhang zwischen der Konstituierung und Stabilität von Gemeinwesen und dem Bewahren von Gütern, Orten und Überlieferungen, kommt nicht umhin, sich auch mit Verlusten zu befassen. Verlust bezeichnet hier nicht die Abwesenheit eines Gutes, das Erbe war oder hätte werden können, sondern die soziale Beziehung zu dem verlorenen Gut und zu den Umständen seines Verlorengehens oder auch den Versuchen, es wiederzugewinnen. Verlust ist nicht einfach der Antagonist von Erbe, sondern ist selbst ein wichtiger Faktor im Modell des Erben-und-Vererben-Geschehens. Geteiltes Verlustempfinden kann zu einer internen und externen Solidarisierung führen und ist damit höchst relevant für die Festigung bestehender und die Ausbildung neuer Identitäts- und Erbengemeinschaften. Aber wie kann man aktiv Verlust sammeln und wer kann das wollen? Was wird gesammelt – die Verlustempfindungen oder die Schatten und Spuren verlorener Güter und Orte?

Das Buch ist als Print-Ausgabe bei der Verlagsgruppe art+science weimar.erhältlich. Die Online-Ausgabe ist eine Open-Access-Publikation (Creative Commons Lizenz vom Typ CC BY-SA 4.0) und auf der Website der Bauhaus-Universität Weimar unter https://doi.org/10.25643/bauhaus-universitaet.4321 frei verfügbar. 

DFG-Graduiertenkolleg 2227 »Identität und Erbe«

Sitz:
Bauhaus-Universität Weimar
Fakultät Architektur und Urbanistik
99423 Weimar, Geschwister-Scholl-Str. 8 (Raum 027)
Tel. +49 (0) 3643 - 583139
Email: wolfram.hoehne@uni-weimar.de
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