Anna Yeboah (Berlin): Dekoloniale Erinnerungskultur in der Stadt

Ringvorlesung am 13.Juni (18.30 Uhr)
Fachhochschule Erfurt, Schlüterstr. 1, Aula (2.OG)

Berlin war als brandenburgisch-preußische Residenzstadt und später Reichshauptstadt politisches Entscheidungszentrum des deutschen Kolonialreichs und ein prominenter Ort für koloniale Wissenschaften, Technik- und Kulturproduktion. Hier fand 1884/85 die folgenschwere Berliner Afrika-Konferenz statt – ein Schlüsselmoment für das europäische Kolonialprojekt, bei dem koloniale Grenzziehungen auf dem afrikanischen Kontinent konsolidiert wurden. Als Hauptstadt eines imperialen Staates war Berlin bereits im späten 19. Jahrhundert Ziel für koloniale Migration – insbesondere aus den deutschen Kolonien – und entwickelte sich so zu einem internationalen Zentrum antikolonialen Widerstands. Lange verdrängt und ausgeblendet, gewinnen diese historischen Ereignisse und Entwicklungen seit kurzen an Präsenz: auf Initiative zivilgesellschaftlicher Gruppen und der Community entstehen endlich Erinnerungs- und Aufarbeitungskonzepte die einen kritischen Umgang mit der Kolonialität der Stadt fordern und die städtischen Erinnerungskultur transformieren. Das Modellprojekt Dekoloniale Erinnerungskultur in der Stadt ist ein Versuch neue Wege der Zusammenarbeit zwischen Institutionen und kritischer Zivilgesellschaft zu finden und so trotz der inhärent prekären und lückenhaften Quellenlage in öffentlichen Archiven kolonialisierte Menschen als Subjekte und als immanenten Teil der Berliner Stadtgeschichte zu rekonstruieren.

Anna Yeboah ist Architektin und Kuratorin. Sie studierte Architektur mit Schwerpunkt Kulturtheorie an der Technischen Universität München und der UPC Barcelona. Ihre Forschung und künstlerische Praxis beschäftigen sich mit Machtsystemen in Architektur und Stadtplanung. Ihre Untersuchungen zum Thema wurden unter anderem auf der 15. Architekturbiennale in Venedig gezeigt und in internationalen Fachmedien veröffentlicht. Anna Yeboah war Dozentin am Institut für Geschichte und Theorie Gestaltung der Universität der Künste Berlin. Seit 2020 verantwortet Anna Yeboah die Gesamtkoordination des fünfjährigen Modellprojekts Dekoloniale Erinnerungskultur in der Stadt für die Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland e.V.

Der Vortrag kann im Livestream verfolgt werden: https://fh-erfurt.webex.com/fh-erfurt/j.php?MTID=m2f6a0cc5796dc6cdd6f4016b19d376e5 
Ein Mitschnitt ist in unserem Podcast zu finden.

Neuerscheinung: CENSORED? CONFLICTED CONCEPTS OF CULTURAL HERITAGE

Ayşegül Dinççağ Kahveci, Marcell Hajdu, Wolfram Höhne, Darja Jesse, Michael Karpf, Marta Torres Ruiz (Hg.)

Wer danach fragt, wie sich soziale Entitäten auf die Vergangenheit beziehen, der findet umkämpfte Deutungen und Praktiken um ein kollektiv geteiltes Erbe vor. Dissens und Konflikte zwischen den Erbegemeinschaften stellen produktive Momente der Aushandlung von Vergangenheits-, Identitäts- und Erbeentwürfen dar und hinterlassen zugleich Auslassungen, Umschriften und Hinzufügungen. Der Blick auf all jenes, das als negativ oder unerwünscht gilt, was unterdrückt, ausgeschlossen, abgelehnt oder verhindert wird, offenbart neue Perspektiven: Er enthüllt wie sich soziale Gruppen über konkrete Identitätsvorstellungen formieren, lässt Narrative hervortreten, verfolgt die Aktualisierung der materiellen Formationen immaterieller Erbekonstruktionen.
Die hier versammelten Beiträge widmen sich konfliktbeladenen Erbeprozessen in Geschichte und Gegenwart. Sie setzen sich mit Mechanismen der inkludierenden und exkludierenden Aushandlung von Identität und Erbe anhand des titelgebenden Begriffes der Zensur auseinander. Zensur meint hier weniger ein Instrument der Kontrolle und Repression, als vielmehr ein diskursives Instrument in öffentlichen Debatten. Gegenwärtig wird von Zensur vor allem dann gesprochen, wenn der Umgang mit einem kulturellen Erbe kritisch beleuchtet oder gegen Kritik immunisiert werden soll. Die Autor:innen verfolgen die Verbindungslinie zwischen Identität und Erbe, indem sie nach der Teilhabe an kollektiven Erbeprozessen und zeigen, wie sich Konstruktionen von Identität nicht nur im Erbe manifestieren, sondern zugleich am Erbe ausgehandelt werden.

Mit Beiträgen von Anna Ainio, Arnold Bartetzky, Rachel Győrffy, Nasima Islam, Irakli Khadavgiani, Jochen Kibel, Friederike Landau-Donnelly, Kristina Leko, Patricia Lenz, Nnenna Onuoha, Lukas Rathjen, Natalie Reinsch, Anatol Rykov, Niloufar Tajeri und Klara Ullmanova.

Der Band 4 der Schriftenreihe des DFG-Graduiertenkollegs 2227 „Identität und Erbe“ ist im Buchhandel erhältlich (180 Seiten, 28 Abbildungen in Farbe zum Preis von 28,00 €) und erscheint im November 2023 als Open Source.

ISBN:978-3-95773-304-7

DFG-Graduiertenkolleg 2227 »Identität und Erbe«
 
Bauhaus-Universität Weimar
Fakultät Architektur und Urbanistik
 
Wissenschaftliche Koordination:
Dr. Wolfram Höhne
99423 Weimar, Marienstr. 9 (Raum 105)
Tel. +49 (0) 3643 - 583139
wolfram.hoehne@uni-weimar.de
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