Corinne Geering (Leipzig): Bewahren in einer geteilten Gegenwart. Sowjetisches Kulturerbe im internationalen Austausch während des Kalten Krieges

Universitätsbibliothek der TU und UDK Berlin
Fasanenstraße 88
Raum Bib 01
5

Wie haben Orte, Gebäude oder Objekte internationalen Wert erlangt, der nicht nur Staats-, sondern auch Systemgrenzen überwand? Und wie wurde in diesem Prozess eine gemeinsame Vorstellung der Rolle des kulturellen Erbes in der Gegenwart artikuliert? Dieser Vortrag widmet sich der internationalen kulturellen Zusammenarbeit während des Kalten Krieges, in dessen konfliktreichem Rahmen der Diskurs eines gemeinsamen Erbes der Menschheit konkrete Gestalt annahm und neue Plattformen für internationalen Austausch gegründet wurden.

Ausgehend von Orten und Akteuren in der Sowjetunion fokussiert dieser Vortrag auf grenzüberschreitenden Austausch zu kulturellem Erbe in der United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization (UNESCO) und im International Council on Monuments and Sites (ICOMOS). Nicht nur die Bewahrung historischer Orte, sondern auch deren Nutzbarmachung für den internationalen Tourismus, Entwicklungspolitik und die Verortung des sowjetischen Kulturerbes in der gegenwärtigen Welt waren von besonderem Interesse. Somit verhandelte der Austausch im Rahmen dieser Organisationen wissenschaftliche und ökonomische Interessen, staatliche und sozialistisch internationalistische Politik sowie die kulturpolitischen Ziele der internationalen Gemeinschaft. Indem die Analyse dabei die reziproken, parallelen und konfliktbehafteten Verhandlungen in den Vordergrund rückt, werden Brüche und Verschiebungen innerhalb des internationalen authorized heritage discourse sichtbar. Dies nimmt dieser Vortrag zum Anlass, das Potential historischer Forschung für das gegenwärtige Verständnis von Kulturerbe in einem globalen Kontext auszuloten. Neben der umstrittenen Politisierung von Kulturerbe betrifft dies insbesondere die Frage, welche Rolle sozialistische Herangehensweisen an Erbe in internationalen Initiativen spielten und wie sie heute nachwirken.

Corinne Geering ist seit Mai 2018 Postdoktorandin am Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur im östlichen Europa (GWZO) in Leipzig. Sie schloss ihre Promotion in Osteuropäischer Geschichte an der Justus-Liebig-Universität Gießen ab, wo sie von 2013 bis 2016 Stipendiatin des International Graduate Centre for the Study of Culture (GCSC) war. 2017 erhielt sie ein Career Development Stipendium für ihr Postdoc-Projekt zu Migration und Identitätspolitik im ländlichen Ostmitteleuropa in der Moderne. Ihre Dissertation Building a Common Past: World Heritage in Russia under Transformation, 1965–2000 beschäftigt sich mit der internationalen Zusammenarbeit in der Denkmalpflege und der Kulturerbepolitik während des Kalten Krieges und der Transformationszeit der 1990er-Jahre. Sie fokussierte insbesondere darauf, wie bestimmte Orte in der RSFSR resp. der Russischen Föderation seit den 1960er-Jahren diskursiv und strukturell zu Welterbe gemacht wurden. Die Monographie wird 2019 erscheinen. Corinne Geering erhielt den BA von der Universität Zürich in Philosophie, Theaterwissenschaft und Slavistik und schloss den Master in World Arts und Slavistik am Center for Cultural Studies der Universität Bern ab. Sie absolvierte Studien- und Forschungsaufenthalte in Tschechien, Russland und Frankreich. Ihre Forschungsinteressen umfassen Kultur- und Identitätspolitik im 19. und 20. Jahrhundert, sozialer Wandel und Mobilität, ländliche materielle Kultur und internationale kulturelle Zusammenarbeit.