Renato Cymbalista: Erinnerungsarbeit und kulturelles Erbe in São Paulo, Brasilien
Der Vortrag beleuchtet aktuelle Themen der Erinnerungskultur und des Umgangs mit dem kulturellen Erbe in São Paulo, Brasilien. Dort operieren die Verwaltungen auf Stadt- und Landesebene im 21. Jahrhundert noch immer mit einem eher traditionellen Verständnis von Kulturerbe. Theorie und Praxis der Kulturerbepflege basieren im Wesentlichen auf traditionellen Instrumenten wie der Inventarisierung und Auflistung von Denkmalen, die man in den 1930er Jahren bei der Gründung des IPHAN (Nationales Amt für Kulturerbe), entwickelt hatte. In den letzten zwei Jahrzehnten hat jedoch eine bemerkenswerte Aktualisierung stattgefunden: Erbe und Erinnerung werden heute als vielfältige, diversifizierte und polyzentrische Bereiche betrachtet. Diese Entwicklung ist im Aufeinandertreffen von Aktivist*innen und Verwaltungsmitarbeiter*innen in verschiedenen Städten und Landesteilen entstanden und führte zu neuen Wegen im Umgang mit öffentlichen Räumen, die in der Übernahme der Erinnerungsarbeit als zentrales Thema von Aktivist*innen und sozialen Bewegungen ihre Ursache hatte. Die Universitäten spielen dabei eine zentrale Rolle, indem sie Theorie, Feldforschung und Rechercharbeit in die Zivilgesellschaft transferierten. Sie führten Beamte, Aktivist*innen und Künstler*innen zusammen, ermöglichten Forschungen wie praktische Interventionen und wurden zu einer Plattform für Dekolonisierungsprozesse.
Der Vortrag wird diesen Prozess anhand von aktuellen Beispielen vorstellen. Wie wurden Erinnerung und Erbe bei der Aufarbeitung der Geschichte der Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch die Militärdiktatur (1964-1985) konzipiert und mobilisiert? Wie wurde die „Heritage Journey“ als Tag des Erbes in der Stadt implementiert? Wie konnte das Erbe der LGBTQ Community thematisiert werden? Letztlich wird der Vortrag auch die Rolle der Universität von São Paulo, der wichtigsten Universität des Landes, beim Umgang mit Fragen der Erinnerung und Wiedergutmachung beleuchten.
Der Architekt und Stadtplaner Renato Cymbalista ist Professor an der Fakultät für Architektur und Städtebau der Universität von São Paulo (USP) und Direktor für Menschenrechte und Erinnerungs-, Gerechtigkeits- und Wiedergutmachungspolitik der Abteilung für Integration und Zugehörigkeit der USP. Er gehört den Vorständen des Goethe-Instituts São Paulo, der Casa do Povo und der Pinacoteca do Estado de São Paulo an und ist Mitglied einer Arbeitsgruppe für die Errichtung einer Gedenkstätte im ehemaligen Gefängnis und Folterzentrum DOI in São Paulo. Er gehört zu den Gründer*innen der Vereinigung für Gemeinschaftseigentum (FICA), einer gemeinnützigen Organisation für den Erwerb und die Verwaltung von Eigentum für soziale Zwecke. Zu seinen Veröffentlichungen zählen: The Guide of the Difficult Places in São Paulo (2019), What does an Ethical Landlord Look Like? (2019) und Cultural Heritage: memory and urban interventions. Er ist Kurator der Ausstellung Land Purpose.