RINGVORLESUNGSREIHE „IDENTITÄT UND ERBE“

Im Rahmen der Ringvorlesungsreihe „Identität und Erbe“ ist am kommenden Dienstag (25. Mai, 18.30 Uhr, Videokonferenz) der Historiker Jens-Christian Wagner zu Gast. Der Vortrag berichtet von den Auseinandersetzungen um eine angemessene Form des Erinnerns an die Verbrechen der Colonia Dignidad.

1961 floh der deutsche Sektenprediger Paul Schäfer mit 150 Anhänger:innen nach Chile, nachdem Ermittlungen gegen ihn wegen Kindesmissbrauchs eingeleitet worden waren. Auf einem streng abgeschirmten Anwesen im Süden Chiles gründete er die „Colonia Dignidad“, offiziell ein Wohltätigkeitsverein. Tatsächlich herrschte ein brutales System vollständiger mentaler und physischer Kontrolle der bis zu 350 Bewohner:innen und systematischen sexuellen Missbrauchs deutscher und später auch chilenischer Kinder.
Nach dem Militärputsch von 1973 kooperierte die Sekte eng mit dem Geheimdienst der Pinochet-Diktatur, der auf dem Gelände ein Folterzentrum einrichtete, in dem Oppositionelle unter Mithilfe der Sektenmitglieder misshandelt und ermordet wurden. Nach dem Ende der Diktatur 1990 blieb die Colonia zunächst unangetastet. Erst nachdem die chilenische Justiz Ermittlungen gegen Schäfer wegen des Missbrauchs chilenischer Jungen eingeleitet hatte, tauchte dieser unter und wurde 2005 in Argentinien festgenommen. Er starb 2010 in einem chilenischen Gefängnis. Unter geänderter Rechtsform existiert die ehemalige Colonia unter der Bezeichnung „Villa Baviera“ bis heute; knapp 100 „Colonos“ leben noch dort. Unter ihnen, aber auch unter ehemaligen Bewohner:innen und den Angehörigen chilenischer Mordopfer tobt eine Debatte um Deutungshoheit, die von chilenischen und deutschen Historiker:innen moderiert wird: Welche Geschichten erzählt der historische Ort? Wie können die Verbrechen öffentlich erinnert werden?

Jens-Christian Wagner ist Professor für Geschichte in Medien und Öffentlichkeit an der Friedrich Schiller Universität Jena und leitet seit Oktober 2020 die Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora. Zuvor leitete er die Stiftung niedersächsische Gedenkstätten in Celle. Er forscht seit über 25 Jahren zur Geschichte des Nationalsozialismus, insbesondere der Konzentrationslager und der Zwangsarbeit, sowie zu Geschichts- und Erinnerungskulturen im internationalen Vergleich und hat dazu zahlreiche Ausstellungen kuratiert und Publikationen vorgelegt. Veröffentlichungen u.a.: Produktion des Todes. Das KZ Mittelbau-Dora, Göttingen 2015; Ellrich 1944/45. Konzentrationslager und Zwangsarbeit in einer deutschen Kleinstadt, Göttingen 2009; (Hg. mit Thomas Rahe) Menschen in Bergen-Belsen. Biografische Skizzen zu Häftlingen des Konzentrationslagers, Göttingen 2019; (Hg. mit Volkhard Knigge u.a.) Zwangsarbeit. Die Deutschen, die Zwangsarbeiter und der Krieg, Essen 2012; (Hg. mit Martina Staats) Recht. Verbrechen. Folgen. Das Strafgefängnis Wolfenbüttel im Nationalsozialismus, Göttingen 2019.

Anmeldung:
Um online an der Vorlesungsreihe teilzunehmen, senden Sie bitte eine Email an: anmeldung@identitaet-und-erbe.org. Sie erhalten dann den Zugangslink zur Videokonferenz (Plattform Zoom), unter dem Sie alle Ringvorlesungen des Sommersemesters verfolgen können. Zudem können im Audio-Archiv des Graduiertenkollegs viele Vorträge der seit 2016 stattfindenden Reihe nachgehört werden. 

Ankündigung:
Im Sommersemester 2021 sind weiterhin in der Ringvorlesung zu Gast:  1. Juni, Erica Lehrer (Montreal): Terribly Close. Polish Vernacular Artists Face the Holocaust | 8. Juni, Ronald Rietveld (Amsterdam): Hardcore Heritage | 15. Juni, Timothy Ingold (Aberdeen): The World in a basket | 22. Juni, Stefan Berger (Bochum): Erinnerung an Industrialisierung und Deindustrialisierung im globalen Vergleich – Industriekultur und ihre Erzählungen | 6. Juli, Oliver Sukrow (Wien): Alternative Spaces of Innovation: Spa Towns as Architectures and Landscapes of Health | 13. Juli, Arnold Bartetzky (Leipzig):  Erbe ohne Erben. Baudenkmäler nach Zwangsmigrationen zwischen Zerstörung, Verdrängung und Aneignung

Ausführliche Informationen zu allen Vorträgen finden Sie unter: 
https://www.identitaet-und-erbe.org/category/veranstaltungen/semestertermine/

PUBLIKATIONEN

Das Literaturinstitut Hildesheim hat die Vortragsmitschnitte des Kollegs in seinen Podcast „Litradio" aufgenommen. Auf Litradio findet man neben Lesungen junger Autor:innen, Hörspielen und Mitschnitten von Podiumsdiskussionen auch theoretische Beiträge, die für eine junge Schriftsteller:innen-Generation von Bedeutung sind. Nun gibt es dort auch den Kanal „Identität und Erbe“: 
https://litradio.net/identitaet-und-erbe/

Der Band I der Schriften Reihe „Identität und Erbe“ ist seit Februar 2021 im Bauhaus-Universitätsverlag erhältlich:

Bogner, S. / Dolff-Bonekämper, G. / Meier, H.R. (2021). Collecting Loss. Schriftenreihe des DFG-Graduiertenkollegs „Identität und Erbe“: Vol. 1. Weimar: Bauhaus-Universitätsverlag
Wer sich mit „Identität“ und „Erbe“ befasst, also mit dem Zusammenhang zwischen der Konstituierung und Stabilität von Gemeinwesen und dem Bewahren von Gütern, Orten und Überlieferungen, kommt nicht umhin, sich auch mit Verlusten zu befassen. Verlust bezeichnet hier nicht die Abwesenheit eines Gutes, das Erbe war oder hätte werden können, sondern die soziale Beziehung zu dem verlorenen Gut und zu den Umständen seines Verlorengehens oder auch den Versuchen, es wiederzugewinnen. Verlust ist nicht einfach der Antagonist von Erbe, sondern ist selbst ein wichtiger Faktor im Modell des Erben-und-Vererben-Geschehens. Geteiltes Verlustempfinden kann zu einer internen und externen Solidarisierung führen und ist damit höchst relevant für die Festigung bestehender und die Ausbildung neuer Identitäts- und Erbengemeinschaften. Aber wie kann man aktiv Verlust sammeln und wer kann das wollen? Was wird gesammelt – die Verlustempfindungen oder die Schatten und Spuren verlorener Güter und Orte?

Weitere Informationen unter:
https://asw-verlage.de/katalog/collecting_loss-2332.html
Der Titel ist zudem Open-Access zugänglich unter dem Link: 
https://doi.org/10.25643/bauhaus-universitaet.4321

DFG-Graduiertenkolleg 2227 »Identität und Erbe«

Sitz:
Bauhaus-Universität Weimar
Fakultät Architektur und Urbanistik
99423 Weimar, Geschwister-Scholl-Str. 8 (Raum 027)
Tel. +49 (0) 3643 - 583139
Email: wolfram.hoehne@uni-weimar.de
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