Ringvorlesungsreihe »Identität und Erbe«
 
Auch weiterhin findet unsere Ringvorlesungsreihe nur im digitalen Raum statt. Wir laden Sie herzlich ein, sich den Vortrag nach dem 20. Juli unter https://www.identitaet-und-erbe.org/podcast/ anzuhören.
 
14. Juli 2020
Marc Redepenning (Bamberg): Raum, Identität und Erbe: Welche Rolle  spielen Raumsemantiken?

Kulturelles Erbe spielt eine zentrale Rolle bei der Herstellung der Identität von Orten, Gemeinden, Städten und Regionen – gemeinsam mit Fragen von Erinnerung und Kultur im Allgemeinen. Der Zusammenhang von Erbe, Identität und Raum ist aber bislang nur rudimentär bearbeitet worden. Wie kann überhaupt raumbezogene Identität verstanden werden? Wer entscheidet über eine raumbezogene Identität, die dann auch für touristische und andere Marketingstrategien Verwendung finden kann? Welche Rolle spielen alltägliche Geographien und das „Alltägliche-Geographie-Machen“ für die Ausweisung dessen, was als identitätsschaffendes Erbe für einen Ort ausgewählt wird? Und welchen Interpretationen soll dieses Erbe „unterliegen“? 
Die drei Konzepte (Erbe, Identität und Raum) eint, dass sie geradezu auf Selektion und Auswahl verweisen – und damit die Frage eröffnen, welche Selektionen von welchen Systemen getroffen werden und wie ihre Verhältnisse und Konstellationen zueinander aussehen.
In diesem Vortrag konzentriere ich mich, unter Nutzung einer systemtheoretischen Grundperspektive, wesentlich auf die Rolle und Funktion von Raum, und insb. von sog. Raumsemantiken, um die angesprochenen Fragen genauer anzugehen. Damit der Vortrag nicht zu trocken wird, werde ich meine Argumente am Beispiel der Stadt Bamberg und zweier ortstypischer Lebensmittelprodukte erörtern: Gemüse und Bier.

Marc Redepenning ist seit 2012 Inhaber des Lehrstuhls Geographie I (Kulturgeographie mit Schwerpunkten in der Sozial- und Bevölkerungsgeographie) an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Er wurde in Leipzig 2004 promoviert und 2011 in Jena bei Benno Werlen habilitiert. Seit 2015 ist er Studiendekan der Fakultät für Geistes -und Kulturwissenschaften der Universität Bamberg. Seine Forschungsschwerpunkte konzentrieren sich auf Geographien des Ländlichen und sind besonders am Verhältnis von Stadt und Land in gesellschaftlichen Selbstbeschreibungen interessiert. Auf lokaler Ebene forscht er zum Verhältnis von lokalen Kulturen und lokaler Identität sowie der Anwendung partizipativer Ansätze bei der Entwicklung von Quartieren und Gemeinden. Darüber hinaus hat er zur Konzeption raumbezogener Gerechtigkeit und zu Fragen der Raumtheorie aus systemtheoretischer Perspektive publiziert.
 
4. JAHRESTAGUNG »PRAKTIKEN DES ERBENS«  am 19.–20. NOVEMBER 2020
Call for Papers für die Sektion »Erben als Kulturtechnik« 

Der Tagungsort wird noch bekannt gegeben (Berlin oder Weimar).

Im Falle von Pandemie-Beschränkungen wird die Veranstaltung online stattfinden.

FOR ENGLISH VERSION click here.

Praktiken des Erbens – Metaphern, Materialisierungen, Machtkonstellationen
 
Identitäten werden durch konkrete Bezugnahmen auf Vergangenheit geformt. Diese Bezugnahme auf Vergangenheit, die von materieller oder auch immaterieller Gestalt sein kann, lässt sich als Praxis des Erbens begreifen. Allerdings wird diese Erbepraxis nicht durch stabile Erbebeziehungen geprägt, sondern stellt einen öffentlichen und konfliktdurchzogenen Aneignungsprozess dar. Mit einer Perspektivierung der ‚Praktiken des Erbens‘ sollen nun eben nicht die konkreten ‚Erinnerungsorte‘ (Pierre Nora), sondern die unterschiedlichsten sozialen und institutionalisierten Praktiken sowie die kulturellen Techniken der Bezugnahme auf Vergangenheit und Konstitution von Identität thematisiert werden.
 
Erben als kulturelle Technik eines (legitimierten und legitimierenden) Vergangenheitsbezuges steht hier in einem doppelten Spannungsverhältnis zu seinem juristischen Pendant. Einerseits wird das Erbe, hier verstanden als Kulturerbe, nicht durch den Erblasser definiert und (aufgeteilt) weitergegeben, sondern als öffentliches Gut definiert und aktiv als solches durch die Öffentlichkeit als Gesamtheit angeeignet. Andererseits unterscheidet sich die Herausbildung der Identität der Erbengemeinschaft gerade in ihrem Verhältnis von Erbe und Erbengemeinschaft: Während das zivile Erbe eine Erbengemeinschaft voraussetzt und festschreibt, eröffnet gerade die öffentliche Partizipation und Anerkennung des (Kultur-)Erbes als öffentliches Gut erst eine vielstimmige Gemeinschaft der Erben. Dabei ist nicht zu vergessen, dass auch das Kulturerbe in seiner identitär-geschlossenen Form auf die Interdependenz von Kulturerbe und Erbengemeinschaft aufbaut. Die 3. Jahrestagung des DFG-Graduiertenkollegs 2227 „Identität und Erbe“ will nun diese Ambiguität des Erbebegriffes im Hinblick auf die Erbepraxis näher beleuchten.
 
Am 19. November sprechen eingeladene internationale Gäste zu den thematischen Feldern (A) Erbe als Metapher – Metaphern des Erbens, (B) Erben als soziale Praxis und (C) Stadt erben: Materialisierungen und Diskursivierungen.
 
Am 20. November findet die von den Kollegiat*innen konzipierte Sektion (D) Erben als Kulturtechnik statt. 

CALL FOR PAPERS für die Sektion 
»ERBEN ALS KULTURTECHNIK«

Auf dem Feld potenziell vererbbarer Artefakte agieren verschiedene Akteur_nnen, die sich mit der Bestimmung und dem Erhalt von Kulturerbe befassen. Sie sind beteiligt an der Bildung, Tradierung und Veränderung historischer Narrative, die eine zentrale Rolle bei der Konstruktion sozialer Identitäten und kollektiver Erinnerungen spielen. In den hier aktiven, gesellschaftlichen Sphären – seien es politische, institutionelle wie „die Wissenschaft" oder Expert_innen-Gruppen wie Architekt_innen und Denkmalpfleger_innen – bestehen unterschiedliche Normen, Gewohnheiten, Standards und Beziehungen, die den Umgang mit den Artefakten regeln und das komplexe Feld des Kulturerbes formen. Diese Akteur_innen ringen um die Selektion, Definition, (kritische) Theoretisierung und Verwaltung dessen, was als Kulturerbe benannt wird. Es ist ein Aushandlungsprozess, der zeigt: Kulturerbe wird „gemacht“ (heritage production).

Inwiefern kann diese „Erbeproduktion“ als Kulturtechnik verstanden und konzeptualisiert werden? Aus dem Agrarischen kommend, bezeichnete der Ausdruck „Kulturtechniken“ Verfahren der Urbarmachung von Land, das damit zu Kulturland wurde. Neben grundlegenden Fertigkeiten wie Lesen, Schreiben und Rechnen werden heute auch Ordnungs- und Repräsentationssysteme, operative Techniken, topographische, architektonische und mediale Dispositive des Politischen, habitualisierte Fähigkeiten sowie Körpertechniken wie Gesten oder Riten als Kulturtechniken begriffen (Bernhard Siegert). Zunächst intuitiv angewendet, werden Kulturtechniken durch soziale Interaktion schließlich weitergegeben und konzeptualisiert. Abhängig von den beteiligten Gruppen und je nach zu vererbendem Gut variieren die einzelnen Kulturtechniken und Praktiken des Erbens und Vererbens, die als Übertragen, Erwerben, als (genealogisches) Nachfolgen und Tradieren, als Zitieren oder Adaptieren verstanden werden können. Auch subversives, gouvernementales oder gewaltsames Aneignen können als Verfahren einer Kulturtechnik des „Erbens“ betrachtet werden. Nicht zuletzt ist „Kulturerbe“ mit seiner legitimierenden Kraft ein umkämpftes Konzept, in dem sich Machtverhältnisse und Konflikte ausdrücken.

Die Tagung „Praktiken des Erbens“ des DFG-Graduiertenkollegs „Identität und Erbe“ widmet sich in einer Sektion dem „Erben als Kulturtechnik“. Im Open Call für diese Sektion möchten wir daher fragen, unter welchen Voraussetzungen Kulturerbe „produziert“ wird und welche Praktiken des Erbens sich als kulturelle Techniken der Bezugnahme auf Überkommenes unterscheiden lassen. Gesucht werden Beiträge – vorrangig, aber nicht ausschließlich – aus den Bereichen der Architekturgeschichte/-theorie, Kunst- und Kulturgeschichte, Soziologie, postkoloniale Theorie, Denkmalpflege(-theorie) sowie aus der anwendungsbezogenen Praxis der zuvor genannten Felder. Für die Sektion rufen wir zur Einreichung von Papers zu folgenden Themenfeldern auf:

1. Auswählen und Bestimmen

Bei der Selektion zu vererbender materieller und immaterieller Güter findet eine Vermittlung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft statt. Wie können hier angewandte Techniken der Inwertsetzung bestimmter Güter konzeptualisiert werden?
Vererbende (Erblasser), Ver- und Geerbtes (Erbmasse) und Erbende (Erben) stehen in einem reziproken Verhältnis: Im Auswählen konstituieren sich die Erbenden als solche und das ausgewählte Erbe wirkt zurück auf ihr Selbstverständnis. Welche Erbe-Praktiken und -Prozesse tragen auf welche Weise zur Identitätskonstruktion der am Erben beteiligten Akteur_innen bei?

2. Aneignen und Adaptieren

Das Erben und Vererben von Kulturgütern umfasst verschiedene Techniken der Aneignung, wie etwa das Konservieren, das Archivieren, Zitieren, Translozieren, Neukontextualisieren, Auslöschen und Überschreiben. Sie alle gehen einher mit einer Adaption des Kulturerbes. Dabei ist zu fragen, wie Übertragungen im Kontext von Kulturerbe gesteuert werden, wie sie auf die Artefakte zurückwirken und inwiefern Kulturerbe verändert (entwickelt, erfunden, beseitigt) werden kann.
Nicht selten verläuft die Aneignung von Kulturerbe unter Zwang, etwa durch Erbeutung und Enteignung, im Zuge von Kriegen, Regimewechseln und Grenzverschiebungen. Es finden aber auch eher implizite gewaltsame Formen der Inanspruchnahme und Zuweisung sowie Akte der „kulturellen Aneignung“ statt. Wir fragen, ob und wie ein und dasselbe Kulturerbe durch unterschiedliche Gruppen angeeignet werden kann.

3. Beherrschen und Infragestellen

Übertragungsprozesse sind konflikthaft und oftmals begleitet von Spannungen, Widersprüchen sowie hegemonialen Bestrebungen, wobei auch das institutionell und professionell „beglaubigte“ Beherrschen von Kulturtechniken ein Instrument darstellt. Macht, Gouvernementalität und Konflikt lassen sich als Rahmenbedingungen des Erbens als Kulturtechnik untersuchen, indem danach gefragt wird, wie Deutungsmacht legitimiert und wie ein Kanon oder eine Genealogie bestimmt werden.
Durch welche sedimentierenden Erbe-Techniken kann Macht gebildet und stabilisiert werden, wie werden diese Verfahren infrage gestellt und können Möglichkeiten einer Enthierarchisierung oder einer hierarchiearmen Aushandlung geschaffen werden?

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Wir suchen Beiträge, die sich mit den dargelegten Fragen und Thesen kritisch auseinandersetzen. Wir streben einen aktiven Austausch unter den Teilnehmenden an und freuen uns über Einreichungen aus unterschiedlichen Forschungszugängen.

Beiträge sollen eine Redezeit von 20 Minuten nicht überschreiten. Abstracts (300 Wörter) und CV werden bis zum 31.07.2020 per Email erbeten an Simone Bogner, cfp[at]identitaet-und-erbe.org. Über die Aufnahme in das Programm werden die Referent_innen Ende August informiert.
Es ist geplant, die Beiträge (Peer-Review) in der Schriftenreihe des Graduiertenkollegs zu veröffentlichen. Die eingereichten Vorschläge dürfen daher noch nicht anderweitig veröffentlich worden sein und müssen einen originellen Beitrag zum Thema des Calls aufzeigen.
Deadline für die Abgabe der Papers oder Vortragsmanuskripte ist der 12. November 2020.

Die Konferenzsprachen sind deutsch und englisch. Reisekostenzuschüsse können begrenzt gewährt werden.

Den CfP als PDF auf deutsch und englisch sowie weitere Informationen finden Sie auch unter https://www.identitaet-und-erbe.org/?p=2381
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Technische Universität Berlin
Fakultät VI – Planen Bauen Umwelt
Institut für Stadt- und Regionalplanung
Fachgebiet Denkmalpflege
DFG-Graduiertenkolleg 2227 »Identität und Erbe«
Hardenbergstr. 40a, 10623 Berlin

Sitz:
Ernst-Reuter-Platz 1, 10587 Berlin | BH-A 338
+49 (0)30 314-25385
simone.bogner@tu-berlin.de
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