Thomas Schmidt-Lux: Erfolgreicher Kompromiss? Das Leipziger Paulinum als religiös-säkularer Erinnerungsbau (GER)
Am zentral gelegenen Leipziger Augustusplatz befindet sich seit ihrer Gründung im Jahr 1409 die Leipziger Universität. Teil dieser Universität war seit Jahrhunderten auch eine protestantische Kirche. Im Zuge sozialistischen Städtebaus wurde diese 1968 gesprengt und an ihrer Stelle eine neue Universität gebaut.
In den 1990er Jahren stellte sich aufgrund baulicher Mängel die Frage, was im Zuge eines neuerlich geplanten Uni-Umbaus eigentlich mit der verschwundenen Kirche passieren sollte. Sollte sie wieder auferstehen? Original rekonstruiert, wie in Dresden? Oder einfach verschwunden bleiben? Oder ganz etwas anderes?
Über diese Fragen entbrannten in den 2000er Jahren sehr erbitterte Debatten. Im Ergebnis wurde ein Gebäude errichtet, dass in vielerlei Hinsicht einen Kompromiss darstellte, in seiner Hybridität zugleich etwas Eigenes ist; das neue Paulinum ist Kirche und Aula zugleich.
Im Vortrag soll zum einen den konfliktreichen Debatten und ihren jeweiligen Argumenten nachgegangen werden. Zum anderen soll das bauliche Ergebnis, eben das Paulinum, genauer vorgestellt und die Frage diskutiert werden, was für eine sozial-materielle Situation wir nun am Leipziger Augustusplatz vorfinden. Im Hintergrund und als Bezugspunkt stehen bei all dem natürlich ähnlich gelagerte Diskussionen und Bauprojekte in anderen ostdeutschen Städten eine Rolle sowie generell die Frage, welche Rolle Architektur in derzeitigen Konflikten im Feld von Religion, Politik und Kultur spielt.
Thomas Schmidt-Lux ist Kultursoziologe und arbeitet am Institut für Kulturwissenschaften der Universität Leipzig. Er studierte Soziologie und Geschichte, schrieb eine Dissertation zum Verhältnis von Religion und Wissenschaft in der DDR und habilitierte sich mit einer Arbeit zu Bürgerwehren und Legitimationen von Gewalt. Seine Arbeitsschwerpunkte sind grundsätzliche kultursoziologische Fragen, Architektursoziologie, Religionssoziologie und Stadtsoziologie. Zuletzt erschien von ihm und Kolleg:innen „Kultursoziologische Stadtforschung. Grundlagen, Analysen, Perspektiven“ (2023, Campus, open-access) und Arbeiten zu verlassenen Siedlungen im Oman.