Konstantin Wächter (Berlin): Die Berliner Gemeindesynagogen im Deutschen Kaiserreich. Integration und Selbstbehauptung

Berlin war am Ende des 19. Jahrhunderts nicht nur die Hauptstadt einer gerade erst als Nation geeinten Großmacht, sondern auch ein wichtiges Zentrum jüdischer Kultur in Europa. Die Entstehung neuer Synagogenprojekte rahmten Aushandlungsprozesse zwischen den einzelnen Akteuren, der jüdischen Gemeinde, den Architekten und den Beamten der Baubehörden. Dabei ist ein bemerkenswerter Wandel in der architektonischen Konzeption innerhalb der Zeit des Kaiserreiches zu beobachten. Nicht nur aktuelle Tendenzen in Architektur und Stilfragen waren entwurfsprägend, vor allem waren auch die gesellschaftliche Stimmung und die Selbst- und Fremdverortung der jüdischen Minorität innerhalb der deutschen Gesellschaft von Bedeutung für die Ausarbeitung architektonischer Strategien. Der Wandel der Berliner Synagogen, der sich besonders im Bau der Gemeindesynagoge an der Fasanenstraße 1910 – 1912 manifestierte und klar gegenüber der zuvor als Lösung der Bauaufgabe in Berlin gefundenen Typologie der Hofsynagogen abgrenzte, soll nachvollzogen und historisiert werden. Welche Erfahrungen der jüdischen Bürger in der deutschen Gesellschaft stehen hinter diesen Bauprojekten? Wie verorteten sich die Erbauer der Synagogen innerhalb des Kaiserreiches und innerhalb ihrer Gemeinde? Welche Bedeutung hatten die Synagogen als sichtbare Zeichen jüdischer Kultur für ein zunehmend säkulares jüdisches Bürgertum? Die Erforschung der Gemeindesynagogen, ihrer Grundrissentwicklung, ihrer städtebaulichen Positionierung und ihres unterschiedlich ausgeprägten Formenreichtums vermag vielfach Einblicke zu geben, um diesen Fragen nachzugehen und eine Idee davon zu gewinnen, welche komplexen Hintergründe diesen stolzen Großbauten zugrunde lagen. Dabei zeigen die Untersuchungen, dass die Bauherren und Nutzer ebenso vielfältig und heterogen auftraten, wie es sich in ihren monumentalen Großbauten wiederspiegelte.