Henri Hoor (Weimar): Mittelalter gesucht. Eine Synagoge, Mikwe und andere »sprechende Steine« für Berlins neue alte Mitte

Viele Freiflächen und Grundstücke im Stadtkern von Berlin werden aktuell neu geplant und bebaut. Die hierbei vorangehenden archäologischen Grabungen brachten in den letzten Jahren einen großen Bestand an Dingen und baulichen Hinterlassenschaften des mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Berlins an die Öffentlichkeit. Baubefunde vom Schloss, von ehemaligen Kirchen und Klöstern sowie vom mittelalterlichen Rathaus wurden auf dem Areal zwischen Spreeinsel und Fernsehturm aufgedeckt. Im Fokus des Vortrags steht das Gebiet südöstlich des Roten Rathauses, von dem sich die Stadtentwicklung neue Impulse erhofft: Unweit des Molkenmarkts, in den frühen Jahrhunderten Marktplatz und Mittelpunkt von Berlin, heute eine verkehrsreiche Autotrasse, liegt die einstige Hofanlage des Großen Jüdenhofs. Dieses viele Jahrzehnte unter einem Parkplatz begrabene Wohnareal wird stadthistorisch mit einer früh angesiedelten jüdischen Bevölkerung Berlins in Verbindung gebracht. Nach den Vorstellungen der Stadtplanung soll der Große Jüdenhof durch eine Neubebauung, die das alte Parzellengefüge aufgreift, als ein Ort von besonderer geschichtlicher Bedeutung wieder erfahrbar gemacht werden.

Immer mehr auch als eine kulturpolitische und ökonomische Ressource begriffen, nimmt das jüdische Erbe in den vergangenen Jahren in Deutschland einen Schwerpunkt in der Bauforschung und Denkmalpflege ein. Hier herrscht ein besonderes öffentliches Interesse, das nicht nur an erhaltenen Synagogen, sondern zunehmend auch an ergrabenen und vorher nicht sichtbaren Relikten besteht. Das Vorhaben am Großen Jüdenhof kann somit als exemplarisch für die öffentlich wirksame Konstruktion eines jüdisch konnotierten Erbes gesehen werden. Dazu soll im Vortrag untersucht werden, auf welche Weise die Archäologie in den identitätsbildenden Prozess einer »Altstadtreaktivierung« eingebunden wird und wie die städtebauliche und erinnerungspolitische Inanspruchnahme von stadtarchäologischen Objekten erfolgt.