Ortrun Bargholz (Berlin): Erscheinung ohne Substanz. Wie die Planensimulation der Berliner Bauakademie die Konstruktion von Erbe entmaterialisiert

Den Stadtraum am Kupfergraben in Berlin-Mitte prägte ab 2004 eine Planensimulation, die mit einem Fassaden-Rendering der Berliner Bauakademie bedruckt war. Beim Abbau 2019 wurden die Planen in Stücke zerschnitten. Sie hatten ihre Aufgabe erfüllt, denn sie hatten die Basis dafür geschaffen, dass der Bundestag Gelder für die Rekonstruktion der Bauakademie bewilligte. Noch bevor der Realisierungswettbewerb ausgeschrieben wurde, hatte sich die Bevölkerung an die Präsenz der roten Backsteinfassade gewöhnt. Die Plane wurde gezielt als Vor-Bild eines von Teilen der Gesellschaft erhofften Nachbaus der Schinkelschen Bauakademie aufgestellt. In einer Umfrage sprach sich eine Mehrheit für eine »Fassade nach historischem Vorbild« aus, doch was ist mit (historischen) Vor-Bildern überhaupt gemeint?

Inwiefern kann die Erscheinung eines Gebäudes für sich stehen? Funktioniert die Erscheinung eines zu rekonstruierenden Gebäudes auch unabhängig von vermeintlich architektonischen Werten, wie ›Materialauthentizität‹ oder ›konstruktiver Ehrlichkeit‹? In dem Tagungsbeitrag wird das Zusammenspiel von Hüllfläche, Textur und Ab- sowie Vor-Bildern als architektonische Erscheinung erörtert – in Abgrenzung einerseits zur Substanz, dem physischen Baumaterial, und andererseits zur Wahrnehmung, den persönlichen, mentalen Bildern. Bei Videospielen, Filmsets und Freizeitparks lässt sich beobachten, dass die Erscheinung für ihre baulichen Strukturen maßgebend ist. Davon ausgehend soll gezeigt werden, dass die architektonische Erscheinung auch für physische zeitgenössische historisierende Bauten von zentraler Bedeutung ist.

Die Plane der Bauakademie wurde auf eine Baugerüststruktur gespannt, ähnlich wie digitale 3D-Körper mit einer Textur belegt werden. Auch nach ihrer Fertigstellung stellt die Schlossfassade am gegenüberliegenden Ufer primär die Hüllfläche ihrer historischen Vorlage dar. Dadurch erfolgt eine Entmaterialisierung des sicht- und abbildbaren Erbes. Ist die Konstruktion von baulichen Erbe-Narrativen folglich unabhängig von Substanz möglich?