Ronny Grundig (Potsdam): »Nationale Kultur statt privates Erbe. Nachlässe britischer Landadeliger nach dem Zweiten Weltkrieg.«

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erhöhte die neugewählte Labour-Regierung die Steuern auf Nachlässe in Großbritannien drastisch. Die Kriegserfahrung, die eine (zeitweise) Überwindung sozialer Trennlinien mit sich gebracht hatte, hatte dies erst möglich gemacht. Denn bei der Steuerreform ging es nicht um ein höheres Steueraufkommen, sondern vielmehr um die Vergemeinschaftung großer Privatvermögen, die sich seit Jahrhunderten im Besitz der landed gentry, dem britischen Landadel, befanden. Verkörperten diese alten Adelsfamilien lange Zeit die Nation, so sollte aus ihrem Besitz nun ein »nationales Erbe« geschaffen werden, in dem wichtige Artefakte der britischen Kulturgeschichte öffentlich gezeigt bzw. Landsitze und Herrenhäuser der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollten, nachdem sie im Zuge der Zahlung der Nachlasssteuer an den Staat übergegangen waren.
In meinem Paper werde ich einleitend die neu geschaffenen staatlichen Strukturen skizzieren, die für die Umsetzung geschaffen wurden (Steuerrecht, National Fund, National Trust). Am Beispiel des Todes des 10. Dukes of Devonshire, dem Oberhaupt einer der ältesten Adelsfamilien Großbritannien, rücken dann die konkreten Verhandlungen zwischen staatlichen Akteuren und den Erbinnen näher in den Blick. Anhand der überlieferten Quellen lässt sich herausarbeiten, wie einzelne Objekte zu Erbstücken von nationalen Wert umgedeutet wurden. Diese immaterielle Bedeutung der Erbstücke gewann im Zeitverlauf immer weiter an Bedeutung, so dass der britische Staat letztlich deutlich mehr für sie zahlte, als aufgrund von wissenschaftlichen Gutachten als angemessen galt. Dies lag auch an den Erwartungen der britischen Öffentlichkeit, die einerseits auf ein »nationales Erbe« hoffte und anderseits fürchtete, die Sammlungen und Objekte des verstorbenen Dukes könnten der Nation aufgrund von finanzkräftigen ausländischen Käufer
innen dem Land für immer verloren gehen.
Hierbei lässt sich exemplarisch zeigen, wie in der britischen Nachkriegszeit bestimmten Erbstücken identitätsstiftendes Potential zugesprochen wurde und zudem herausarbeiten, wie diese durch die politische Regulierung der Vermögensvererbung von privaten in öffentlichen Besitz mit dem Ziel übergingen, identitätsstiftend zu wirken