Alexander Leistner (Leipzig): „Letztes Jahr Titanic“. Der Untergang von Erwartungshorizonten und die Auswirkungen auf die ostdeutsche Transformationsgesellschaft

Der Zusammenbruch der DDR-Gesellschaft hat materielle Spuren hinterlassen: abgerissene Gebäude – hier vor allem Industrieanlagen, verblasste Fassaden, re- und rückkonstruierte Innenstädte. Die Lücken und Leerstellen anderer Verlusterfahrungen sind dagegen weniger sichtbar.

Gemeint sind jene zeitgenössischen Zukunftsvorstellungen, die mit der DDR untergegangen sind, insbesondere die Hoffnung auf eine reformsozialistische Erneuerung sowie auf eine wirtschaftliche Stabilisierung durch „blühende Landschaften“. Beide, in ihrer Zeit plausiblen, zugleich konkurrierenden Zukünfte wurden in den folgenden Jahren geschichtspolitisch marginalisiert und erinnerungskulturell ‚vergessen’. Gleichwohl prägen sie die (ost-)deutsche Gesellschaft bis in die Gegenwart und sind Teil einer krisenhaften Zeiterfahrung. Diese findet ihren Niederschlag in der ostdeutschen Protestkultur seit 1990. Die Analyse der, zum Teil sehr unterschiedlichen eigensinnige Aneignungen der vergangenen Zukünfte von 1989/90 ermöglichen einen Zugang zum Verstehen der Heterogenität von Erfahrung und Erwartung sowie zum Verstehen der politischen Kultur im Osten der Gegenwart.

Alexander Leistner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kulturwissenschaften der Universität Leipzig. Dort verantwortet er die beiden Teilprojekte des BMBF-Forschungsverbundes „Das umstrittene Erbe von 1989“. Zuvor arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Jugendinstitut sowie im Sächsischen Landtag. Für seine Dissertation „Zur Entstehung und Stabilisierung sozialer Bewegungen. Eine historische Soziologie der unabhängigen Friedensbewegung in der DDR“ erhielt er 2016 den „Max Weber Preis für Nachwuchsforschung“.
Zuletzt erschienen: „Das umstrittene Erbe von 1989. Zur Gegenwart eines Gesellschaftszusammenbruchs“, Böhlau Verlag 2021 (zusammen mit Monika Wohlrab-Sahr) und das Themenheft „Die Friedensbewegung und der Krieg in Europa – eine Standortbestimmung“, Forschungsjournal Soziale Bewegungen, 2022.

Universitätsbibliothek der TU und UDK Berlin
Fasanenstraße 88
Raum Bib 01
5