Georg Krajewsky (Darmstadt): Erbe konstruieren, Erbe verhandeln. Eine soziologische Untersuchung des Runden Tisches »Koloniales Erbe« in Hamburg

Seit November 2017 tagt in Hamburg ein Runder Tisch »Koloniales Erbe«, an dem Vertreterinnen und Vertreter der afrikanischen Communities, postkoloniale Gruppen und städtische Behörden über die Ausgestaltung einer verbindlichen Aufarbeitungsstrategie für das koloniale Erbe der Hafen- und Hanse-
stadt beraten. In den damit verbundenen Gesprächen verhandeln die Akteure darüber, was als (post-)koloniales Erbe der Stadt gilt, wer die Deutungshoheit über dieses Erbe inne hat und wie mit den (post-)kolonialen Hinterlassenschaften im Stadtraum umzugehen sei.Aus Sicht der Erbe-Soziologie sind solche Aufarbeitungs- bzw. Vergegenwärtigungsprozesse stets selektiv im Hinblick auf ihre Bedeutungsdimensionen und die sich darin artikulierenden sozialen Gruppen. Die Konstruktion eines (post-)kolonialen Erbes werde somit durch semantische, soziale und pragmatische Ein- und Ausschlussprozesse strukturiert. Im Mittelpunkt des Vortrags steht das Verhältnis zwischen städtischen Akteuren und den Community-Akteuren am Runden Tisch. Anhand von Interviewmaterial werden zwei ausgewählte Zugänge zur Diskussion gestellt, welche die untersuchten Ein- und Ausschluss-
mechanismen bei der Konstruktion des kolonialen Erbe Hamburgs charakterisieren.
Erstens die Wirkung eines »Authoritative Heritage Discourse« (Smith 2006), mit dessen Hilfe institutionalisierte Agenturen der Vergegenwärtigung ihre Deutungshoheit über das koloniale Erbe der Stadt absichern können. Zweitens die Beobachtung eines anhaltenden »colonial divide« (Ha 2014) zwischen den durch Kolonialverhältnisse (vormals) getrennten Gruppen, die eine wechselseitige Anerkennung der Aufarbeitungsmotive und -praktiken erschweren. Beteiligungsformate, wie der Hamburger Runde Tisch ließen sich somit einerseits als Reaktion auf eine Destabilisierung des nationalen normativen Bezugsrahmens in der Erbekonstruktion lesen. Andererseits finden sich Anzeichen, dass dieser Bezugsrahmen durch solche Formate (re-)stabilisiert wird.