Mareike Späth (Hannover): »Wessen Erbe zählt?«

Fast täglich klingelt das Telefon im Büro der Kuratorin. Am anderen Ende der Leitung sprechen Erben, die Nachlässe ihrer verstorbenen Familienmitglieder regeln, oder Personen, die angesichts Ihres fortgeschrittenen Alters diese Aufgabe selbst in die Hand nehmen. Sie erzählen mir Geschichten aus ihren Leben oder dem Leben ihrer Vorfahren, von Reisen in ferne Länder, von Missionstätigkeiten und dergleichen. Sie münden alle in dasselbe Anliegen, mal als Frage und mal als Angebot formuliert: Sind die geerbten oder zu vererbenden Objekte von Relevanz für die ethnologische Sammlung eines staatlichen Museums?
Der ICOM Weltverband und der Deutsche Museumsbund definieren die anspruchsvolle, wenn nicht vermessene Aufgabe der Museen, durch ihre Sammlungen das kulturelle Erbe der Menschheit zu
bewahren und zu vermitteln. Die Entscheidung über die Akquise von Objekten für die Sammlung, die in der Regel einer Sammlungsstrategie folgt und vomvon der zuständigen Kuratorin getroffen wird, legt daher fest, welche Objekte und welche
damit verbundenen Narrative erhalten werden und zukünftig das kulturelle Erbe bilden, und welche nicht.
Gerade im Lichte der wieder aktuellen Frage nach der Bildung und Veränderung historischer Narrative und der Konstruktion kollektiver Erinnerung in Bezug auf koloniale Vergangenheit und postkoloniale Gegenwart wird bei der Pflege und Erweiterung institutioneller Sammlungen die Frage relevant, wie wir heute Normen, Gewohnheiten und Standards der Museumsarbeit gerade in ethnologischen Sammlungen auslegen und anpassen, um zeitgemäßen Ansichten und Forderungen nach global sensibler Gestaltung von Kanon und Kulturerbe Rechnung zu tragen.
In diesem Beitrag werde ich aus meiner Position der Macht als Kuratorin heraus infrage stellen und diskutieren, wie kritisch, sensibel und reflektiert bei der Aufgabe der Bildung von sogenanntem Kulturerbe (wessen Kultur? wessen Erbe? wessen Identität?) vorgegangen werden kann.