Timothy Ingold (Aberdeen): The World in a Basket

For most of human history, generations were understood to overlap and to twist around one another longitudinally like the fibres of a rope. Increasingly today, however, successive generations are likened to strata, layered horizontally over one another.

As a result, crafts once learned in everyday practice can be passed on only insofar as they can be represented in the form of algorithms which are transmissible independently of their lifetime achievement. What cannot be transmitted drops out. Among crafts on the endangered list is basketry. In this chapter I show that basketry is no mere technique but a life process through which not only things but also people and their provisions are as much grown as made. The basket, like the human community, is all-in-one. To restore baskets to life, I argue, means rethinking the passage of generations. It means imagining a society in which the curiosity of the young and the wisdom of the elderly can once again come together, looping the past through the eyes of the present in the making of a common world. The contemporary production of heritage, however, breaks the loop. The practice of the basket has given way to the logic of the algorithm. If life and feeling are to be revived in a world in which both are vulnerable to algorithmic decomposition, we need to bring the practice back.

Deutsche Übersetzung:

DIE WELT EINES KORBES
Nahezu in der gesamten Menschheitsgeschichte waren die Generationen in ihrer Folge miteinander verwoben wie die Fasern eines Seiles. Heute scheinen die Generationen jedoch einander wie Schichten zu überlagern. Das hat unter anderem zur Folge, dass ein Handwerk nicht mehr im Zuge eines täglichen Prozesses vermittelt wird. Stattdessen wird es in Algorithmen repräsentiert und nur noch dann weitergegeben, wenn auf den lebenspraktischen Nachvollzug verzichtet werden kann. Was sich nicht übersetzen lässt, geht verloren. Zur Liste der bedrohten Handwerkskünste zählt auch die Korbmacherei. In meinem Vortrag zeige ich, dass die Korbmacherei weniger eine Technik, als vielmehr eine Lebenspraxis ist, in der nicht die Dinge selbst, sondern das Vermögen der Menschen eine mächtige Rolle spielt, in der es hauptsächlich um ein Zusammenfinden geht und weniger am das Machen selbst. Der Korb gleicht der menschlichen Gemeinschaft. Meine These ist, dass das Flechten eines Korbes, den Nachvollzug des Wechsels der Generationen bedeutet. Es bedeutet, sich eine Gesellschaft vorzustellen, in der die Neugierde der Jungen und die Weisheit der Älteren zusammenkommen und die Vergangenheit, durch die Augen der Gegenwart gesehen erneut in die Gestaltung einer gemeinsamen Welt einfließen kann. Im heutigen Verständnis von Kulturerbe ist dieser Zyklus jedoch unterbrochen. Die Praxis der Korbmacherei ist der Logik der Algorithmen gewichen. Wenn Lebendigkeit und Gefühle in einer Welt algorithmischer Zersetzung wiederentdeckt werden sollen, müssen wir die Praxis zurückbringen.

Timothy Ingold, geboren 1948, zählt zu den renommiertesten Stimmen der zeitgenössischen Anthropologie. Er ist emeritierter Professor für Anthropologie an der University of Aberdeen, an der er von 1999 bis 2018 lehrte. Nach seinem Studium der Sozialanthropologie promovierte Ingold 1976 an der Universität Cambridge. Von 1974 bis 1990 war Ingold als Dozent an der Universität Manchester tätig, wo er 1990 zum Professor und 1995 zum Professor für Sozialanthropologie ernannt wurde. Er hält die Ehrendoktorwürde der Universität von Lappland in Rovaniemi, sowie die Ehrendoktorwürde in Philosophie von der Leuphania Universität in Lüneburg. Zur Exemplifizierung seiner theoretischen Arbeit zu Technologien und Lebensumständen in der Polarregion, zu Evolutionstheorie, Sprache, Werkzeuggebrauch und Umweltwahrnehmung unternahm er zahlreiche Feldforschungen nach Lappland. In seinen wissenschaftlichen Arbeiten beleuchtet er die Schnittstellen von Anthropologie, Archäologie, Kunst und Architektur. Seine jüngsten Arbeit widmet sich der Verbindung von Umweltwahrnehmung und Lebenspraxis. Ingold stellt dabei den Modellen der genetischen und kulturellen Übertragung, die auf der Allianz von neodarwinistischer Biologie und Kognitionswissenschaft beruhen, einen relationalen Ansatz entgegen und konzentriert sich dabei auf das Wachstum von verkörperten Wahrnehmungs- und Handlungsfähigkeiten innerhalb sozialer und umweltbezogener Entwicklungskontexte.

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