Ljiljana Radonić (Wien): Krieg um die Erinnerung: Geschichtspolitik im post-jugoslawischen Raum

Die Kriege der 1990er Jahre im ehemaligen Jugoslawien waren in gewissem Ausmaß auch Kriege um die Erinnerung und hatten einiges mit der unaufgearbeiteten Vergangenheit des Zweiten Weltkriegs zu tun. Titos Devise von der „Brüderlichkeit und Einheit“ ließ keinen Raum für die Aufarbeitung des Bürgerkriegs zwischen den kroatischen Ustascha, den serbischen Tschetnik und Titos PartisanInnen, der vielfach auf dem Rücken der Zivilbevölkerung ausgetragen wurde. 

Der von den Ustascha im „Unabhängigenen Staat Kroatien“ (NDH) begangene Massenmord an der serbischen, jüdischen und Roma-Bevölkerung passte nicht zum Narrativ. Die nationalistische Mobilisierung erfolgte dann vielfach über ein Ustascha- und Tschetnik-Revival. Unter Franjo Tudman wurden in den 1990er Jahre im Sinne einer „Versöhnung“ aller KroatInnen das KZ Jasenovac und Bleiburg, das Symbol für die von den PartisanInnen begangenen Massentötungen an den flüchtenden Ustascha und Heimwehren, miteinander gleichgesetzt und die Opferzahlen in diesem Sinne manipuliert. In Serbien griff insbesondere nach Milosevics Tod das Tschetnik-Revival um sich und       diese serbischen Monarchisten, die mit den italienischen FaschistInnen und NS-Deutschland kollaboriert hatten, ersetzten die PartisanInnen als Identifikationsfiguren. In diesem Krieg um die Erinnerung wurden und werden die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg und die Kriege der 1990er Jahre systematisch, etwa bei der Gedenkveranstaltung in Bleiburg, miteinander verknüpft. Die Geschichtspolitik wird in diesem Vortrag insbesondere auch am Beispiel zeithistorischer Museen und Gedenkstätten beleuchtet.

Ljiljana Radonić leitet das vom Europäischen Forschungsrat (ERC) finanzierte Projekt „Globalised Memorial Museums. Exhibiting Atrocities in the Era of Claims for Moral Universals“ am Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), dessen Vize-Direktorin sie ist. Ihr Habilitationsprojekt über den Zweiten Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen führe sie an der ÖAW durch und erhielt 2020 die Venia am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien, wo sie seit 2004 über Antisemitismustheorie sowie (Ostmittel-)Europäische Erinnerungskonflikte seit 1989 lehrt. 2015 war sie Gastprofessorin für Kritische Gesellschaftstheorie an der Universität Gießen, 2017 am Centrum für Jüdische Studien der Universität Graz. Ihre Dissertation schrieb sie über den Krieg um die Erinnerung. Kroatische Vergangenheitspolitik zwischen Revisionismus und europäischen Standards (Frankfurt: Campus 2010).

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