Jörn Düwel: Verkehr in Not. (GER)

Der Konflikt um das Automobil in der Stadt wird seit jeher ausgetragen, nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Erbes Stadt und der damit verbundenen Identität. Anfangs überwogen Hoffnungen und Erwartungen an das neue Verkehrsmittel, das ungebundene Mobilität versprach, und man war überzeugt, ihm müsse Raum geschaffen werden.

Doch schon bevor in den Zwanzigerjahren Kraftfahrzeuge massenhaft die Straßen eroberten, wurde ein »Verkehrselend« befürchtet. Um es abzuwenden, forderten die Städtebauer, die verwinkelte alte Bebauung mit ihren halsbrecherischen Straßen abzureißen und an ihre Stelle eine moderne Stadt zu setzen. Radikale Entwürfe wurden vorgelegt; mit den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs schien deren Umsetzung endlich greifbar nah. So verspottete der Berliner Senat Mitte der Fünfzigerjahre Fußgänger als »unverbesserliche Neandertaler«, die nicht auf die Straße, sondern in den nächsten Park gehörten. Das Memento mori eines Hamburger Architekten, der davor warnte, »unsere Städte zu zerstören zugunsten eines so reaktionären Möbels, wie es das Auto ist«, verhallte unbeachtet.
Noch jahrzehntelang schien die Lösung der Verkehrsnot allein im Ausbau der Straßen zu bestehen. Erst mit der Einsicht in die Endlichkeit der Ressourcen setzte ein Umdenken ein, allerdings ohne nennenswerte Folgen. Freilich werden seither auch wieder das überkommene Erbe und eine historisch gewachsene Identität der Städte beschworen. Seit den Neunzigerjahren wird regelmäßig eine »Verkehrswende« postuliert, doch auf der Straße schlägt sie sich bis heute kaum nieder. Die libidinöse Beziehung zum Auto, das keineswegs nur als Bedrohung wahrgenommen wird, sondern auch Freiheit verheißt, wird weitgehend ausgeblendet. 

Jörn Düwel studierte Kunstgeschichte und Germanistik in Greifswald. Seit zwei Jahrzehnten lehrt er Geschichte und Theorie der Architektur in Hamburg, wo er auch lebt. Düwel hat zahlreiche Bücher zur Geschichte der jüngeren Architektur und des Städtebaus in Europa geschrieben.  

Fachhochschule Erfurt
Schlüterstraße 1, Aula (2.OG)

Beginn: 18.30 Uhr