Marion Steiner: Elektropolis in Übersee. Glokale Historiographien und geteiltes Erbe (GER)

Ausgehend von einer technik-, wirtschafts- und kulturhistorischen Analyse des Elektrizitätsgeschäfts Berliner Unternehmen und Banken in Lateinamerika zu Ende des 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts beleuchtet mein Vortrag das industriekulturelle Erbe aus dieser Zeit in Valparaíso, Chile. Im Hinterland dieser einst als Handels- und Finanzzentrum wichtigsten Stadt an der Westküste Südamerikas, nahe der kleinen Siedlung Placilla, baute ein von AEG und Deutscher Bank gegründetes Konsortium das Wasserkraftsystem El Sauce y La Luz, das –wenn auch in weitgehend ruinösem Zustand– bis heute erhalten ist. 

Diese 1906 in Betrieb genommenen und 1910 fertiggestellten Anlagen sind nicht nur ein Wasserkraftprojekt der AEG, das wegen seiner Frühzeitigkeit weltweit einmalig ist. Sie sind zudem als geteiltes Erbe zwischen der legendären „Elektropolis“ Berlin und der historischen Welthafenstadt Valparaíso verstehen. Der Umstand, dass beide Städte zum UNESCO-Welterbe gehören, macht eine kritische Geschichtsschreibung und Auseinandersetzung mit der aktuellen Erbekonstruktion in beiden Städten umso interessanter und die Forschung dazu umso notwendiger. Dies gemeinsam zu tun, ermöglicht die Konstruktion eines „glokalen“ Erbes, das beide Orte miteinander verbindet und auch die Schattenseiten des deutschen Imperialismus in den Blick nimmt.

Im Zentrum des Vortrags stehen die bisherigen gemeinsamen Bemühungen aus der internationalen Forschungs- und der lokalen Erbegemeinschaft, die sich im Historischen Museum und dem Nachbarschaftszentrum von Placilla bündeln. Seit nunmehr über 10 Jahren kämpfen wir für eine Anerkennung der Denkmalwerte dieser Anlagen, die aktuell keinerlei offiziellen Schutzstatus haben, für die Bevölkerung vor Ort aber mittlerweile zu einem Anker ihrer sozialen und kulturellen Identität geworden sind.

Der Vortrag ist Teil meines chilenischen Forschungsprojektes ANID-FONDECYT INICIACIÓN 11230957 in Kooperation mit der Bauhaus-Universität Weimar, der TU Berlin und dem Berliner Zentrum Industriekultur.

Ich werde auf Deutsch sprechen; Fragen können auch gerne auf Englisch oder Spanisch gestellt und beantwortet werden.

Marion Steiner studierte Geographie und Europäische Ethnologie an der Humboldt-Universität zu Berlin, Stadt- und Regionalplanung an der TU Berlin und Geopolitik an der Universität Paris 8. Ihre Dissertation Die chilenische Steckdose. Kleine Weltgeschichte der deutschen Elektrifizierung von Santiago und Valparaíso, 1880-1920 verteidigte und veröffentlichte sie 2019 an der Bauhaus Universität Weimar. Während ihrer beruflichen Laufbahn war sie an UNESCO-Welterbe-Bewerbungen früherer Kohleregionen in Frankreich, Deutschland und Chile beteiligt. Von 2011 bis 2015 war sie die erste Koordinatorin des Berliner Zentrums Industriekultur; von 2016 bis 2018 stellvertretende Leiterin des Referats Industriekultur des Regionalverbands Ruhr und von 2018 bis 2022 Professorin für Geographie an der Katholischen Universität von Valparaíso. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Globale Stadtgeschichten, der europäische Technik- und Wissenschaftsimperialismus und dekoloniale Perspektiven auf das industrielle Erbe aus dem Globalen Süden. Sie lebt derzeit hauptsächlich in Chile und engagiert sich als Generalsekretärin von TICCIH für das industrielle Erbe weltweit. Zu ihren bedeutendsten Veröffentlichungen auf Spanisch gehört das gemeinsam mit Pamela Fuentes verfasste Buch Luz para Valparaíso. El Complejo Hidroeléctrico El Sauce y La Luz: Un patrimonio industrial compartido entre Placilla de Peñuelas y la Elektropolis Berlín (Valparaíso: Centro Cultural Placilla, 2021).