VORTRAG FÄLLT AUS: Astrid Erll: Die Odyssee, Identität und Erbe (DE)

War das Lager der edlen Griechen vor Troja ein rape camp? Und was ist eigentlich mit Odysseus‘ zwölf „untreuen Mägden“, die Telemachos am Ende der Odyssee tötet? Waren das „Prostituierte“? „Schlampen“? Oder doch vielmehr „weibliche Haus-Sklaven“? Diese Fragen werden aktuell mit großer Vehemenz diskutiert, u.a. im Zusammenhang mit den englischen Neuübersetzungen der Homerischen Epen durch Emily Wilson (Odyssey 2017, Iliad 2023). Auch Homer ist im Zeitalter von Feminismus und Black Lives Matter angekommen.

Worum es aktuell geht, ist eine Neuperspektivierung von „Homer als Erbe“. Und dazu müssen bestimmte, eingefahrene Formen der kulturellen Erinnerung erst einmal reflexiv gemacht und neu gedacht werden.

Mein Vortrag befasst sich mit der Frage, wie Homer überhaupt als identitätsstiftendes Erbe Europas, des „Westens“ oder „der Welt“ konstruiert werden konnte. Dies ist eine faszinierende Geschichte von (mündlicher und schriftlicher) Erinnerung, (beinahe totalem) Vergessen, (geradezu unverschämten) Appropriationen sowie einer Vielzahl höchst kreativer Adaptionen. Mir geht es also um eine transtemporale, transkulturelle und transmediale Erinnerungsgeschichte (von Vasenmalerei im archaischen Griechenland bis zur TikTok Oper aus Puerto Rico), die zu Konzepten von „Identität und Erbe“ führt und diese aber auch immer wieder auflöst.

Astrid Erll ist Professorin für Anglophone Literaturen und Kulturen an der Goethe Universität Frankfurt. Sie leitet dort die Frankfurt Memory Studies Platform (https://www.memorystudies-frankfurt.com/) und ist Co-Sprecherin des Netzwerkes Transformations of Political Violence (https://www.trace-center.de/). Sie ist Mitherausgeberin der Reihen Media and Cultural Memory / Medien und kulturelle Erinnerung (De Gruyter) und Studies in Collective Memory (OUP). Zu ihren Publikationen zählen Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen (Metzler, 32017), „Homer—A Relational Mnemohistory“ (Memory Studies, 2018) und „Transnational Flashbulb Memories: An Interdisciplinary Research Program“ (Narrative Inquiry, 2023, mit W. Hirst). Ihr Projekt zur Erinnerungsgeschichte der Odyssee wurde durch ein Opus Magnum der Volkswagen Stiftung gefördert.

Bauhaus-Universität Weimar
Marienstraße 13 C, Hörsaal B

Beginn: 18.45 Uhr