Das disidentifizierte Subjekt: Zur Kritik der Kritik von Identitätspolitik (DE)

Mit einer gewissen Regelmäßigkeit entdeckt die deutsche Publizistik ‚Identitätspolitik‘ als ein Problem der Gegenwart, tut sich aber gleich in zweierlei Hinsicht schwer mit einer genauen Beschreibung dessen, was diese Form der Politik zum Problem macht. Einerseits tendiert die Kritik dazu, die Kategorie ‚Identität‘ als Versuchung der allerjüngsten Gegenwart zu verstehen und verkennt somit sowohl die mittlerweile doch beachtliche Tradition identitätspolitischer Ansätze als auch die lange Tradition und Provenienz der eigenen Kritik. Andererseits muss sie die Relation zu den Identitätskategorien in den von ihr beanstandeten Politikformen als scharf von ‚normalen‘ oder ‚traditionellen‘ Politikformen unterschieden vorstellen. Diese Form der Kritik ist politisch breit aufgestellt, kann zum Beispiel aus linker Blickrichtung genauso reüssieren wie aus einer liberalen, und hat in den Diskursen in Deutschland wie in den USA etwas Selbstverständliches: Kaum jemand sagt affirmativ, er betreibe Identitätspolitik. Identitär sind vielmehr die anderen.
Was aber geschieht, wenn wir einerseits die Geschichte identitätspolitischer Diskurse und die lange Geschichte ihrer Kritik zusammendenken? Es handelt sich um ein erstaunlich beharrliches Sprachspiel, das sich über seine eigene Beharrlichkeit kaum im Klaren zu sein scheint. Was sagt uns also die Geschichte und was besagt ihre schiere Länge? Was sagt andererseits der Wunsch, beanstandete Politikformen, die vermittels von Identitätskategorien operieren, von anderen zu unterscheiden, die auf den ersten Blick sehr ähnlich funktionieren, aber auf wundersame Art von einer solchen Kritik ausgenommen scheinen, über das Verständnis von Politik und Öffentlichkeit aus?