Elisa Satjukow (Leipzig): Umstrittenes Erbe. Der Kosovokrieg und die NATO-Intervention 1999

Es ist wieder Krieg in Europa und während wir fassungslos die Ereignisse in der Ukraine beobachten, gerät ein anderer europäischer Krieg weitestgehend in Vergessenheit. Vor 30 Jahren begann der Zerfall des ehemaligen Jugoslawiens. 

Blutige Auseinandersetzungen in Bosnien, Kroatien und Kosovo kosteten nicht nur unzähligen Menschen das Leben, sie trieben auch Hunderttausende in die Flucht. Im Angesicht des Massakers von Srebrenica und dem Ausmaß an Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung entschied sich die NATO 1995 zur Intervention in den Bosnienkrieg. Nur vier Jahre später sollte ein erneutes militärisches Eingreifen durch die NATO der Gewalt im Kosovokrieg ein Ende bereiten. Bis heute gilt der 78-tägige völkerrechtswidrige Militäreinsatz des transatlantischen Bündnisses als umstritten. Während die Bombardierung in den europäischen Diskussionen um einen EU- und NATO-Beitritt der Westbalkanstaaten häufig nur als historische Fußnote des Kosovokonfliktes erscheint, stellt sich die Situation in Kosovo und Serbien ganz anders dar. Hier nimmt das Gedenken an die Ereignisse 1998/1999 – wenngleich jeweils auf ganz unterschiedliche Aspekte fokussierend – einen zentralen Stellenwert in den nationalen Erinnerungskulturen ein. Von der albanischen Bevölkerung des Kosovo wird die Militärintervention dabei vorwiegend als Unterstützung im Kampf für die nationale Unabhängigkeit erinnert. In Serbien hingegen steht das Ereignis für einen illegalen Angriff auf einen souveränen Staat, der Kosovokrieg und die Intervention der NATO werden weitestgehend als disparate Ereignisse verhandelt. Elisa Satjukow beleuchtet in ihrem Vortrag am Beispiel der NATO-Bombardierung Serbiens und Kosovos 1999 die Ambivalenzen militärischer Interventionen aus Perspektive der kriegsbetroffenen Menschen. Am Beispiel des erinnerungskulturellen Umgangs – insbesondere in Form von Gedenktagen und Denkmälern – beleuchtet sie das umstrittene Erbe dieses fast vergessenen Krieges in Europa.

Dr. Elisa Satjukow ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Ost- und Südosteuropäische Geschichte. Zuvor war sie Fellow im Promotionsprogramm „Trajectories of Change“ der ZEIT-Stiftung und hat 2019 ihre mit dem Förderpreis der Südosteuropa-Gesellschaft ausgezeichnete Dissertation „Die andere Seite der Intervention. Eine serbische Erfahrungsgeschichte der NATO-Bombardierung 1999“ (transcript 2020) abgeschlossen. Sie hat in Leipzig, Belgrad und Wolograd Ost- und Südosteuropäische Geschichte, Allgemeine- und Vergleichende Literaturwissenschaften und Russistik studiert. Neben ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit war sie Projektleiterin im Kompetenzzentrum Mittel- und Osteuropa Leipzig und Koordinatorin des Internationalen MitOst-Festivals. Ihre Schwerpunkte bildet die Verflechtungsgeschichte Ost- und Südosteuropas vom 19. bis 21. Jahrhundert, insbesondere Alltag-, Geschlechter-, Transformations- und Wissensgeschichte, Erinnerungskulturen, Postkoloniale Studien sowie Theorien und Methoden der Geschichtswissenschaften.

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