Irakli Khvadagiani (Tiflis): Die Vergangenheit besitzen – die Gegenwart kontrollieren. Post-sowjetisches Knowhow in Georgien

Nach dem Zusammenbruch der UdSSR scheiterte der friedliche Übergang in eine neue georgische Gesellschaft. Es fehlte an notwendigen Schritten, um mit dem noch lebendigen Erbe der totalitären Herrschaft umzugehen und ein kollektives Gedächtnis auf Grundlage eines entideologisierten Narrativs zu etablieren. Es gab keine Lustration, keinen gesetzlichen Rahmen für die Untersuchung kommunistischer Verbrechen, keine Entschädigung für materielle Verluste…
Ein wesentliches Element fehlt in Georgien bei diesem Prozess der Aufarbeitung der totalitären Vergangenheit seit 1991: die Zugänglichkeit zu den Archiven des Regimes. Anstelle eines transparenten Umgangs mit den Akten wird auf Gesetzeslücken der Übergangszeit verwiesen, werden weitere Beschränkungen erlassen und in jüngster Zeit eine nichtssagende Rhetorik betrieben. Wissenschaftler:innen, die sich dem Thema widmen, werden bis heute mit vielen Problemen konfrontiert. Sie müssen hohe Preise für das Kopieren von Archivdokumenten zahlen;die Einsicht in „persönliche Daten“ seit 1946 ist stark eingeschränkt. Zugleich sind selbst Historiker:innen nicht in der Lage, die Strukturierung und Umgestaltung des Archivsystems während des totalitären Sowjetregimes zwischen 1921 und 1991 nachzuvollziehen und jene Dokumente aufzufinden, die offiziell als verloren gelten.