Schirin Kretschmann (Weimar): Liquid Matter(s) – Archivarische Strategien in der künstlerischen Forschung.

In seinen Grundsätzen versteht sich mein Werk als künstlerische Forschung. Die Recherche von räumlichen und historischen Bedingungen, den Routinen und Materialien der jeweiligen Ausstellungssituation steht am Beginn eines jeden Projektes; mannigfaltige Strategien und Materialanwendungen erzeugen im nächsten Schritt eine Differenz zu diesen Ausgangsbedingungen und bilden so den spezifischen Ort einer Arbeit. Als »Liquid Matters« bezeichne ich diese konzeptuellen, visuellen Transformationsprozesse im Sinne einer »Verflüssigung« von Strukturen und Materialien, die die Beziehung von Betrachter, Werk und Umgebung einer permanenten Wandlung unterwerfen. Der spezifische Einsatz von Farbe dient der Überlagerung, Auflösung oder Herstellung von Strukturen und verschränkt Alltags- und Ausstellungsräume. Hierbei verstehen sich meine Arbeiten insbesondere als archäologische Strategien, um die elementaren Erfahrungen von Material und Dauer, die in unserer Alltagswelt vielfach von technischen und virtuellen Ersatzhandlungen überlagert werden, wieder freizulegen. Ausgehend von der künstlerischen In-Situ-Arbeit »Lets Slip into her Shoes (V)« (2017) im denkmalgeschützten Gebäude des Zentralinstituts für Kunstgeschichte in München stelle ich eine Reihe synästhetischer Interventionen mit industriell hergestelltem Lederfett vor, das sich in seinen physikalischen und ästhetischen Eigenschaften für situative, zeit-räumliche Markierungen von Orten eignet. Die in den Ausstellungssituationen initiierten Materialprozesse lassen neben den Farbspuren, die durch die Intervention selbst entstehen, auch die Handlungsspuren vergangener Nutzungen hervortreten. Bohrlöcher und Verspachtelungen, Kratzer und Abreibungen werden als Zeugnisse der Geschichte des jeweiligen Ortes lesbar. Zugleich wird man beim Betrachten der Lederfettarbeiten vom Geruch des Materials begleitet. Nach der jeweiligen Ausstellungslaufzeit wird das Material recycelt. In seiner ›Lagerform‹ speichert es physisch-konkrete Partikel, mit dem es sich im Verlauf einer Arbeit angereichert hat und verweist auf vergangene und mögliche Ortskontexte und Handlungszusammenhänge.