Tracing Nepantla (EN)

Die künstlerische Recherche „Tracing Nepantla“ nähert sich dem Konzept des nepantla, dem Zwischenraum, aus einer räumlichen Perspektive. Das Wort nepantla stammt aus dem Nahuatl und bedeutet so viel wie ‚in der Mitte stehen‘. Die Autorin, Theoretikerin und selbsternannte Chicana und Lesbe Gloria E. Anzaldúa (1942-2004) entwickelte darauf aufbauend in den 1980er Jahren eine Sprache für das Gefühl des Dazwischenseins, für verschiedene und fluide Identitäten und Zugehörigkeiten. Ausgehend von der Geschichte des mexikanisch-US-amerikanischen Grenzraums erweitert sie in ihrem mehrsprachigen Buch „Borderlands – La Frontera: The New Mestiza“ (1984) das geografische und kulturelle Verständnis der Grenzregion. Anzaldúa zeigt auf, wie Grenzgebiete nicht nur physische oder räumliche Geflechte sein können, sondern wie sich unsere Leben, abhängig von unserer jeweiligen Positionierung zueinander, auch in Form von psychischen oder sexuellen Grenzen verschieden durchkreuzen.

Sie verwendete das Konzept von nepantla, um diesen Grenzraum zu beschreiben und formulierte dieses bis zu ihrem Tod weiter aus. In ihrem Schreiben entwirft sie Räume, sie entwickelt Wissen, indem sie hegemoniale Epistemologien und das, was gewöhnlich unter Wissen verstanden wird, in Frage stellt. Aufgespannt zwischen zwei Räumen ist nepantla auch ein Raum der Zerrissenheit. Schwellenmenschen – oder wie Anzaldúa sie bezeichnet: nepantleras – sind Wesen, die in und zwischen mehreren Welten leben: durch schmerzhafte Verhandlungen entwickeln sie das, was Anzaldúa als „Perspektive aus den Rissen“ beschreibt. Sie zeigt auf, wie aus dieser oft schmerzhaften und widersprüchlichen Erfahrung Wissen und Praktiken entwickelt werden können, die es erlauben, diese Grenzsituation zu navigieren. Dadurch wird nepantla ein Raum, in dem Transformationsprozesse stattfinden.

Diese Arbeit betrachtet nepantla als transformativen Raum und hat zum Ziel, dessen spürbare und sichtbare Ausprägungen in der Stadt nicht nur zu identifizieren, sondern auch zu kartieren. Dabei stellt sich diese Arbeit der scheinbar widersprüchlichen Herausforderung, etwas, das in einem Zwischenzustand ist, festzuhalten. Etwas zu kartieren heißt, einen Raum zu markieren, ihn fest zu machen und ihm eine Legitimation zu geben. Basierend auf persönlichen Erfahrungen entstehen in einer Reihe von kollektiven Übungen und verkörperten Methoden Zeichnungen, Diagramme und Karten, die z.B. alltägliche Räume, Räume des Zusammenkommens, Erinnerns und des Widerstands aufzeigen.